Probiotische Milchprodukte: Neues aus dem Kühlregal

LC1, Actimel, ProCult, BIAC, Yacult oder Vifit heißen die neuen Milchprodukte im Kühlregal. Mit den wissenschaftlich klingenden Namen sollen sich die Joghurts und Fruchtspeisen aus dem normalen Angebot hervorheben. Ob ihre Wirkungen ebenfalls so herausragend sind, ist jedoch noch zu klären.

Vor etwa zwei Jahren begann der Einzug der sogenannten Probiotika in die deutschen Supermarktregale. Mittlerweile bieten nicht nur die Großen der Milchindustrie diese Produkte an, auch im Naturkostladen sind sie zu finden. Das Sortiment wächst ständig. Als Naturjoghurt, mit Vanille- und Fruchtgeschmack oder als Milchmischgetränk werden die neuen Sauermilchprodukte dem Verbraucher schmackhaft gemacht. Auch Butter, Käse und Speiseeis hat der Trend bereits erfaßt. An der Entwicklung probiotischer Süßwaren wird intensiv gearbeitet. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Pudding und Kekse als "gesundheitsfördernde" Lebensmittel verkauft werden.

Was steckt in den Probiotika?

Daß gesäuerte Milchprodukte die Gesundheit fördern, ist seit langem bekannt. Schon vor Hunderten von Jahren, als noch niemand etwas von Laktobazillen wußte, galt milchsauer Vergorenes als gesund. Doch erst in den letzten Jahrzehnten entdeckten Lebensmittelforscher, daß es vor allem die Milchsäurebakterien sind, denen wir diese positiven Wirkungen zu verdanken haben. Es stellte sich heraus, daß nicht alle Bakterien die gleichen Effekte zeigen. Clevere Hersteller kamen auf die Idee, ihre Sauermilchprodukte mit den besonders wirksamen, sogenannten probiotischen Bakterien herzustellen.

Pro oder Pre?

Probiotika sind Lebensmittel mit lebenden Milchsäurebakterien, welche sich positiv auf die Darmflora auswirken. Sie werden überwiegend als Joghurt oder Milchmischerzeugnisse im Handel angeboten.
Prebiotika sind nicht verdauliche Bestandteile der Nahrung, also Ballststoffe, die das Wachstum oder die Aktivität von Darmbakterien steigern. Meist werden Oligofructose oder Inulin Milchprodukten, Säften oder Müslis zugesetzt.

Leben im Darm

Pro bios ist griechisch und bedeutet für das Leben, das Leben fördernd. Probiotische Milchsäurebakterien stammen ursprünglich aus dem menschlichen Darm und sind daher gut an unser Darmmilieu angepaßt. Gelangen sie in den Verdauungstrakt, können sie sich an die Darmzellen anheften und sich im Dickdarm einige Zeit gegenüber der dort herrschenden Flora behaupten. Auf Dauer ansiedeln können sie sich in diesem stabilen Ökosystem jedoch nicht. Um ihre Wirkung zu entfalten, müssen sie daher regelmäßig zugeführt werden. Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl probiotischer Bakterien ist, daß sie die Passage durch Magen und Dünndarm möglichst unbeschadet überstehen. Etwa 10 bis 40 Prozent der probiotischen Bakterien erreichen lebend den Dickdarm. Diese Bedingungen erfüllen unter anderem bestimmte Lactobacillus-acidophilus-Stämme (LA), Lactobacillus Goldin und Gorbach (LGG), Lactobacillus casei (LC) und Lactobacillus reuteri sowie Bifidobakterien.

Einigen Produkten werden außerdem isolierte, wasserlösliche Ballaststoffe wie Oligofructose und Inulin zugesetzt. Sie dienen den Darmbakterien als Nahrung und sollen das Wachstum der im Darm ansässigen Bifidobakterien fördern, die für ein gesundes Darmklima sorgen.

Was können die "neuen" Bakterien?

Die Milchindustrie preist ihre Produkte vollmundig an: "Günstige Beeinflussung der Darmflora" oder "Beitrag zur Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte" ist auf den Verpackungen zu lesen. Wissenschaftler sind in ihren Aussagen deutlich zurückhaltender. Gerade die Wirkungen, mit denen die Hersteller werben, nämlich die positive Beeinflussung der Darmflora sowie die Stärkung des Immunsystems sind zwar möglich, aber nicht ausreichend bewiesen. Noch gibt es auf diesem Gebiet nur Hinweise und Indizien. Für einen hemmenden Einfluß auf krankheitserregende Keime spricht, daß probiotische Bakterien Säuren wie Milch- und Essigsäure produzieren. Diese schaffen ein saures Milieu im Darm, in dem sich unerwünschte Keime schlecht vermehren können. Beobachtet wurde auch, daß Milchsäurebakterien verschiedene Substanzen bilden, die schädliche Bakterien absterben lassen oder vertreiben. Diese Ergebnisse wurden jedoch hauptsächlich an isolierten Darmzellen, Tieren sowie an einzelnen Patienten festgestellt. Ob sie sich auf den gesunden Menschen übertragen lassen, ist umstritten. Als wissenschaftlich gesichert gelten bisher nur folgende Wirkungen:

Gesäuerte Milchprodukte steigern die Verträglichkeit gegenüber Milchzucker.

Für Menschen, die Milchzucker aufgrund eines Enzymmangels nicht vertragen, sind Sauermilchprodukte generell günstig. Ein Großteil des Milchzuckers wird durch die Bakterien zu Milchsäure abgebaut. Darüber hinaus bilden Milchsäurebakterien ein Enzym, das den Milchzucker im Dünndarm spalten kann. Welche Joghurts von Menschen mit einer Milchzuckerunverträglichkeit am besten vertragen werden, muß individuell ausprobiert werden.

Milchsäurebakterien können bestimmten Durchfallerkrankungen vorbeugen bzw. deren Dauer verkürzen.

Schon vor 100 Jahren wurden fermentierte Milchprodukte bei Durchfallerkrankungen eingesetzt. Anfang dieses Jahrhunderts gab es sie sogar als Mittel gegen Magen-Darminfekte in Apotheken zu kaufen. Mittlerweile haben verschiedene Studien diese Wirkung sowohl für klassische Joghurtkulturen als auch für probiotische Keime bestätigt. In einer Untersuchung konnte eine infektiöse Durchfallerkrankung, die trotz einer Behandlung mit Antibiotika immer wieder ausbrach, mit Lactobacillus GG in gut einer Woche zum Abklingen gebracht werden. Die meisten Studien wurden allerdings mit isolierten Bakterien durchgeführt. Ob die in Joghurt enthaltene Keimzahl für einen schützenden Effekt ausreicht, ist kaum untersucht.

Milchsäurebakterien beeinflussen das Immunsystem.

Zahlreiche Untersuchungen haben sich damit befaßt, ob Milchsäurebakterien bzw. fermentierte Milchprodukte das Immunsystem beeinflussen. Sie zeigen, daß Milchsäurebakterien bestimmte Mechanismen des Immunsystems sowie dessen Reaktion auf verschiedene Antigene anregen. Ob diese Veränderungen tatsächlich das Immunsystem allgemein stärken und gegen Infektionskrankheiten vorbeugen, ist äußerst schwierig nachzuweisen.

Milchsäurebakterien hemmen die Krebsentstehung im Darm.

Verschiedene Studien weisen darauf hin, daß Milchsäurebakterien die Entstehung krebserregender Verbindungen hemmen und das Wachstum von Krebszellen im Darm vermindern. Probiotische Keime wie Lactobacillus acidophilus und Lactobacillus casei verringern die Aktivität von Enzymen, die Nahrungsreste im Darm zu krebserregenden Substanzen umwandeln. Daß die Milchsäurebakterien tatsächlich Krebs verhindern, ist damit nicht bewiesen. Die Ergebnisse zeigen nur einen möglichen Mechanismus auf, über den Probiotika eventuell dazu beitragen, Dickdarmkrebs vorzubeugen.

Reichen normale Milchprodukte aus?

Die derzeitigen Erkenntnisse sprechen nicht unbedingt dafür, teure probiotische Sauermilchprodukte den klassischen vorzuziehen. Auch herkömmliche Joghurts enthalten größtenteils lebende Milchsäurebakterien, von denen bis zu 30 Prozent die Magen-Darm-Passage überstehen. Sie weisen ebenfalls die oben beschriebenen Wirkungen auf, nur sind diese weniger ausgeprägt. Einige Effekte, wie die Hemmung krebsauslösender Enzyme im Darm, konnten mit den konventionellen Joghurtkulturen Lactobacillus bulgaricus und Streptococcus thermophilus allerdings nicht erzielt werden.

Vergleichende Untersuchungen zwischen herkömmlichen Joghurts und Produkten mit probiotischen Kulturen liegen kaum vor. Letztendlich kommt es auch darauf an, wieviel lebende Keime ein Joghurt beim Verzehr noch enthält. Ob die im Handel erhältlichen Probiotika tatsächlich immer ausreichend aktive Bakterien aufweisen, haben zwei Untersuchungen aus Großbritannien und den USA in Frage gestellt. In einigen der untersuchten Joghurts waren die angegebenen Kulturen gar nicht oder in nicht ausreichender Menge vorhanden.

Kein Ersatz für gesunde Ernährung

Daß milchsaure Produkte die Gesundheit fördern, ist unbestritten. Auch unabhängig von den Milchsäurebakterien sind fermentierte Milchprodukte hochwertige Lebensmittel, die wertvolle Nährstoffe wie leicht verdauliches Eiweiß, Calcium, Vitamin B12 und Milchsäure liefern. Das heißt jedoch nicht, daß sie die schädlichen Wirkungen einer fett- und eiweißreichen Ernährung auffangen können. Viel effektiver ist es, die gesamte Kost auf Vollwert-Ernährung umzustellen, als einzelne gesundheitsfördernde Lebensmittel einzubauen. Ein Beispiel: Eine fleischreiche Ernährung kann die Bildung krebserregender Stoffe im Darm fördern. Lassen Mischköstler das Fleisch für vier Wochen weg, sinkt die Aktivität der unerwünschten Verbindung bereits erheblich. Wer also weniger Fleisch ißt, kann sicherlich mehr ausrichten als mit dem Verzehr probiotischer Milchprodukte.

Hinzu kommt, daß die meisten Probiotika mit reichlich Zucker, Farb- und Aromastoffen aufgepuscht sind. Dies entspricht nicht gerade einer gesunden Ernährung. Besonders wenn eine gesunde Darmflora gefördert werden soll, sind zuckerreiche Produkte ungeeignet. Allein das Bemühen, Süßigkeiten mit probiotischen Kulturen auszustatten, zeigt, daß es der Lebensmittelindustrie nicht um die Gesundheit ihrer Kunden geht.

Für alle unbedenklich?

Negative Auswirkungen durch den Verzehr von probiotischen Kulturen sind bisher nicht beobachtet worden. Für gesunde Personen gelten sie als unbedenklich und für den täglichen Verzehr geeignet. Mediziner weisen aber darauf hin, daß Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Säuglinge mit ihrer sehr spezifischen Darmflora möglicherweise sensibel reagieren können. Unsicher ist auch, ob das Immunsystem unter Umständen überstimuliert werden kann.

Probiotische Lebensmittel können allenfalls ein Mosaikstein im Gesamtbild einer gesunden Ernährung sein. Eine vollwertige, überwiegend vegetarische Ernährung kann getrost auf spezielle probiotische Produkte verzichten. Wer sich gesund ernährt, fördert ganz individuell die körpereigenen physiologischen Darmbakterien und trägt auf vielfältige Weise zu einem gesundheitsfördernden Darmmilieu bei. Eine günstige Darmflora wirkt sich ständig auf unsere Gesundheit aus, während sich Bakterien aus Probiotika nur für einen begrenzten Zeitraum im Darm befinden. Darüber hinaus wird der Organismus durch Vollwert-Ernährung optimal mit allen lebenswichtigen Nährstoffen versorgt. In einer solchen Kost können probiotische Milchprodukte ohne Zucker und Zusatzstoffe durchaus ihren Platz haben. Gesüßte und mit Zusätzen versehene Probiotika in Einwegverpackungen sind jedoch nicht empfehlenswert. Gesundsein steht und fällt nie mit der Wahl eines einzelnen Lebensmittels. Es wird immer Ergebnis einer insgesamt ausgewogenen, gesunden Ernährung und bewußten Lebensweise sein.

So fördern Sie das Leben im Darm
  • Essen Sie reichlich Obst und Gemüse. Die darin enthaltenen Ballaststoffe und sekundären Pflanzenstoffe fördern das Wachstum nützlicher Darmbakterien.
  • Essen Sie täglich Vollkornprodukte oder Hülsenfrüchte, die Ballaststoffe und sekundären Pflanzenstoffe unterstützen die Darmbakterien.
  • Essen Sie regelmäßig milchsaure Produkte wie Naturjoghurt oder Sauerkraut. Das trägt zu einer gesunden Darmflora bei.

Quelle: Hermes, S.: UGB-Forum 2/98, S. 71-74


Dieser Beitrag ist dem UGB-Archiv entnommen.

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